Hier stellen wir euch die Künstler*innen vor, die an der Gemeinschaftsausstellung "Mehr Raum für Wut" beteiligt sind.
A. Lane Ziegler (er/ihm)
Audioinstallation von queerfeindlich, ableistisch, sexistisch, rassistisch motivierter Hatespeech via Maschinenstimme durch Text-to-Speech
Lane, womit setzt du dich in deinem Kunstwerk auseinander?
Die meisten dieser Hasskommentare (erschreckenderweise aber nicht alle!) entstammen der Fernkommunikation/sozialen Medien. Die Wut dieser Menschen entlädt sich dort auf uns durch ein Medium, das selbst nicht fühlt, was es transportiert. Indem ebenso eine mechanische Stimme diese Kommentare vorliest - ohne zu wissen, was gerade an schlimmen Dingen reproduziert wird - entstehen in den Zuhörer*innen vielfältige widersprüchliche Momente des Umgangs mit dieser Wut. Einerseits scheinen diese neutral anmutenden Stimmen den Kommentaren ihre inhärente Wut zu nehmen, andererseits verselbständigt sie sich wiederum, da der Ursprung zu dem*der unmittelbaren Urheber*in dieser Nachricht nicht mehr nachverfolgbar wird und hallt umso schlimmer und fataler nach, je mehr durch den Charakter des Mediums ungewollt komische/karikierende Stimmelemente reinkommen.
Warum ist Wut wichtig? Wie können mithilfe der Wut neue Realitäten geschaffen werden?
Der wütende HASS, der sich auf uns in diesen Kommentaren entlädt, produziert selbst Wut bei uns angesichts dieser Ungeheuerlichkeiten. Die EMPÖRUNG der nicht selbst Betroffenen bleibt leider in der Regel allerdings aus. Dabei ist Empörung darüber gerade die Triebfeder der Veränderung dieser strukturell bedingten Diskriminierungen. Aus Empörung wird Widerstand. Aus WUT wird MUT, etwas verändern zu wollen.
Hat deine Wut in unserer Gesellschaft Raum? Was müsste sich ändern, damit sie Raum haben kann?
„Empört euch!“ – Ich hoffe durch diese kleine künstlerische Auseinandersetzung in den Zuhörenden (denen durch das Mittel der Audioinstallation notwendig ein „Zuhören“ abgerungen wird, wo sonst vielleicht ein „Weghören“ passiert) ein gewisses Gefühl der Empörung zurücklassen zu können. Somit schaffe ich bereits Wut-Räume. Dort, wo Kunst passiert, wird auch Raum geschaffen.
Carolin Marie Stötzer (sie/ihr)
100 % Baumwolle auf Mönchstuch aus
100 % Baumwolle
2023
Carolin, womit setzt du dich in deinem Kunstwerk auseinander?
Mein Kunstwerk ist an die Wahl der Nationalversammlung am 19. Januar 1919 angelehnt, in welcher erstmalig Frauen teilnehmen konnten. Das Muster des Teppichs repräsentiert den Plan des Sitzungssaals. Die Argumentative Idee hierhinter ist, dass die blauen Flächen die Frauen zeigen, die 1919 teilgenommen haben. Dies macht deutlich, dass Frauen in Räumen dieser Art nicht gesehen bzw. unterrepräsentiert sind. Leider würden Grafiken von heute eine ähnlich geringe Repräsentation an blauen Flächen wie damals zeigen.
Der Plan des Sitzungssaals steht hier symbolisch für all jene unsicheren Räume, in denen wir (=FLINTA*) nicht für uns selbst oder andere einstehen können, weil:
ABER
Die Frauen im Sitzungssaal, gekennzeichnet durch blaue Flächen, treten aus der roten und lauten Masse hervor. Sie repräsentieren damit eine Sichtbarkeit, die auch heute für mich selbst und die Menschen in den beschriebenen unsicheren Räumen immer wieder verloren geht.
Janna Hauser (sie/ihr)
Installation
Die Schlafmaske und die Ohrstöpsel symbolisieren meine sehr starke Reizempfindlichkeit.
Janna, was passiert, wenn du deiner Wut Raum gibst?
Leider hat meine Wut Grenzen, denn durch meine Erkrankung an Long Covid/ ME/CFS (chronisches Erschöpfungssyndrom) ist mein Nervensystem sehr überreizt und wenn ich wütend bin, bekomme ich einen Crash - in der Fachsprache nennt man das PEM (Post-Exertional Malaise) - wodurch sich meine Erkrankung noch verschlimmert. Deshalb musste ich lernen, anders mit meiner Wut umzugehen und sie z. B. in ein Kunstwerk wie dieses zu stecken, welches sich an die Öffentlichkeit richtet. Hier ist zu erwähnen, dass aufgrund der Erkrankung ohne die Unterstützung von meiner Freundin Tanja Blum diese Installation nicht realisierbar gewesen wäre.
Was macht dich wütend?
Mich macht wütend, dass die Ärzt*in immer noch nicht Bescheid wissen und die Gesundheitspolitik erst kürzlich den ersten realistischen Geldbetrag in die Forschung investiert hat, obwohl es ME/CFS schon so lange gibt und es ein Unding ist, dass diesen Menschen bisher nicht geholfen wurde. Da ME/CFS häufig als Folge von Long Covid auftritt, werden Long Covid Erkrankte genauso hängen gelassen. Schlimm ist auch, dass über 70 % der Betroffenen Frauen sind (es gibt nur binäre Statistiken) und die Frauen mit der Erschöpfungssymptomatik im Gesundheitswesen bisher nicht ernst genommen wurden. Bei Frauen dauert die ME/CFS Diagnose im Durchschnitt ein Jahr länger als bei Männern und Frauen werden oft als depressiv und die Ursache für die Erschöpfung als psychosomatisch abgetan. Dass weiblich gelesene Personen im Gesundheitswesen überhört und auch in der Medizin diskriminiert werden, hat natürlich wieder patriarchalen Ursprung. Es gibt immer noch große Wissenslücken in Bezug auf die Körper von weiblich gelesenen Personen, was auch als Gender Data Gap bezeichnet wird.
Und nun bin ich eine Frau und habe diese Erkrankung als Folge einer Corona-Infektion. Ich habe das Gefühl, ich werde weder gesehen noch gehört. Wenn ich zu Ärzt*innen gehe, wenn ich bei Behörden Leistungen beantrage, gehen meine Anliegen oft ins Leere. Auch in der Gesellschaft und in den Medien wird kaum darüber gesprochen, was Long Covid und ME/CFS eigentlich ist, was die Erkrankung für die Betroffenen bedeutet und dass der Leidensdruck und die Suizidrate sehr hoch sind.
Wie können wir mithilfe dieser Wut neue Realitäten schaffen?
Wir können durch Aufklärung und Sichtbarkeit neue Realitäten schaffen. Wir können in die Gesellschaft rausschreien und etwas gegen die Unsichtbarkeit der Betroffenen tun! Long COVID Deutschland und die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS e.V. machen da zum Glück schon gute Arbeit und setzen sich auch politisch dafür ein.
Und allgemein braucht es dringend Aufklärung zu geschlechtsbezogenen Forschungslücken und sexistischen Vorurteilen im Gesundheitsbereich. Es gibt immer noch das alte Bild von den „hysterischen“ Frauen, die wegen jedem Wehwehchen aufschreien. Weiblich gelesene Personen müssen endlich ernst genommen werden!
In dieser neuen Realität würde ich sehr gern leben. In dieser Realität hätte ich mehr Vertrauen in das Gesundheitswesen.
Ich danke hiermit von Herzen all den großartigen Menschen, die mich während meiner Erkrankung tatkräftig unterstützen, zu meinen privaten Ärzt*innen werden und/oder mit mir wütend sind.
Mara, womit setzt du dich in deinem Kunstwerk auseinander?
In meiner Kunst beschäftige ich mich mit der Wut auf meinen eigenen Körper, dem Unvermögen Kinder zu bekommen und dem Druck der Gesellschaft, welche wollen zu müssen.
Sabine Marsik (sie/ihr)
39 x 39 cm
Acryl auf Leinwand
Sabine, womit setzt du dich in deinem Kunstwerk auseinander?
Mit dem Pflegenotstand in unserer heutigen Gesellschaft.
Ich selbst arbeite als Gesundheits- und Krankenpflegerin und kriege zu spüren, welch ein Ausmaß der Mangel an Pflegefachkräften mit sich bringt. Weiterhin steigt die Zahl der Pflegebedürftigen, das Pflegepersonal erhält nur niedrige Löhne und es herrschen teilweise sehr schlechte Arbeitsbedingungen.
Es ist ein Spiel mit dem Feuer, dass die Politik bei diesem Thema nicht wirklich durchgreift und keine bewussten Entscheidungen trifft, um etwas Positives zu bewirken. Ich denke, in meinem Kunstwerk wird diese Not gut verdeutlicht.
Warum ist Wut wichtig?
Wut ist sehr wichtig, denn durch Wut kann einiges bewirkt werden. In unserer Gesellschaft wird die Wut meist mit etwas Schlechtem verbunden, beziehungsweise negativ dargestellt.
Die Wut ist eine Kraft und zeigt somit Stärke. Und diese Stärke kann genutzt werden, um sich in gewissen Themen, so wie hier die Pflegenot, miteinzubeziehen und sich selbst stark zu machen. Die Wut ist der Auslöser, das Dasein zu ändern und etwas selbst in die Hand zu nehmen. Nur reicht meist die Wut von einer Person nicht aus, deshalb ist es immer gut, sich zusammen zu schließen und gemeinsam als Gruppe etwas zu ändern.
Hat deine Wut in unserer Gesellschaft Raum? Was müsste sich ändern, damit sie Raum haben kann?
Dies ist eine schwierige Frage, die ich nicht so leicht beantworten kann. Denn meine Wut und die Wut zahlreicher anderer aus dieser Berufsgruppe wird gesehen, jedoch ändert sich an der Situation nicht wirklich etwas.
Ich wünsche mir, dass sich mehr Menschen aus unserer Gesellschaft mit diesem Thema auseinandersetzen und klar gemacht wird, dass das Ausüben eines Berufes im sozialen Bereich an sich eines der schönsten Dinge im Leben ist. Es sind nur die Umstände, die alles kaputt machen.
Svenja Kolodziej (sie/ihr)
Gedicht
Svenja, was macht dich wütend?
Generell machen mich viele gesellschaftliche Themen und Missstände wütend. In meinem Kunstwerk geht es im Speziellen um Grenzverletzungen. Explizit werden dabei sexuelle Handlungen thematisiert, die nicht einvernehmlich stattfinden und Traumata bei Betroffenen hinterlassen. Dabei führt mich die Wut zu den Täter*innen, deren Handlungen letztlich Produkt aus mangelnder Sexualerziehung, sowie einem fehlenden Gefühl von persönlichen Grenzen sind.
Als angehende Lehrerin macht es mich besonders wütend, dass diese essenziell wichtigen Themen in der Schule nur tangiert werden und viele Schüler*innen mit ihren Fragen allein gelassen werden und nach Maßstäben handeln, die von einer patriarchalen Gesellschaft ausgehend, unreflektiert übernommen werden. Das Thema „consent“ (Einvernehmlichkeit) bei sexuellen Handlungen spielt dabei eine zentrale Rolle und sollte von Beginn an vermittelt werden, um eine gesunde Grundlage für jegliche sexuelle Erfahrung zu bilden. Ebenso sollte in schulischer wie häuslicher Erziehung mehr Wert auf das Achten und Setzen von Grenzen gelegt werden.
Warum ist Wut wichtig? Wie können mithilfe der Wut neue Realitäten geschaffen werden?
Ich nehme Wut als ein sehr wichtiges Gefühl wahr, das uns zeigen kann, wo wir Ungerechtigkeit spüren oder uns unverstanden fühlen. Für mich ist das Gefühl von Wut ein wichtiges Instrument, um in Handlung zu treten und tatsächlich etwas in der Gesellschaft zu verändern. Dementsprechend empfinde ich Wut als einen Motor, der den eigenen persönlichen Aktionismus vorantreibt und wegweisend für anzugehende Missstände ist.
Hat deine Wut in unserer Gesellschaft Raum? Was müsste sich ändern, damit sie Raum haben kann?
Meine Wut findet auf eine Art und Weise in transformierter Form in meiner Berufswahl Ausdruck. Da ich mit meiner Betreuung und der Behandlung von vielen Themen in meiner eigenen Schulzeit sehr unzufrieden war, habe ich mich entschieden selbst Lehrerin zu werden und für nachfolgende Generationen mehr Diskussionsraum zu bieten und auch über tabuisierte oder für irrelevant abgetane Themen zu sprechen.
Außerdem halte ich Demonstrationen für ein gutes Mittel, um der eigenen Wut eine Stimme zu geben. Leider können Demonstrationen oft nicht den nötigen Druck auf die Politik ausüben, um tatsächlich die erforderlichen gesellschaftlichen Veränderungen hervorzurufen. Dementsprechend müsste die Wut und die daraus resultierenden Ideen der Bürger*innen mehr Raum in politischen Entscheidungen bekommen. Dies könnte durch die Implementierung von Bürger*innenräten und häufigeren, sowie niederschwelligeren Volksentscheiden umgesetzt werden.
Tanja Blum (sie/ihr)
Collage
Tanja, womit setzt du dich in deinem Kunstwerk auseinander?
Ich möchte die Wut zeigen, die aufkommt, wenn gesetzte Grenzen nicht beachtet, nicht respektiert und immer wieder überschritten werden. Ich versuche, die Selbstzweifel, die Verunsicherung und das Gefühl der Ohnmacht darzustellen, das entsteht, wenn diese Wut am Gegenüber abprallt, kleingeredet und nicht ernst genommen wird.
Warum ist Wut wichtig? Wie können mithilfe der Wut neue Realitäten geschaffen werden?
Auf persönlicher Ebene finde ich Wut wichtig, weil sie mir hilft, meine (nicht erfüllten) Bedürfnisse und meine Grenzen zu erkennen. Das Äußern der Wut bedeutet für mich das Einstehen und Starkmachen für mich selbst.
Auf gesellschaftlicher Ebene kann Wut auf soziale Missstände und (strukturelle) Diskriminierungen hinweisen und ich denke, dass sie uns die Kraft für eine gesellschaftliche Veränderung geben kann.
Hat deine Wut in unserer Gesellschaft Raum? Was müsste sich ändern, damit sie Raum haben kann?
Ich erlebe immer wieder, wie ich und andere weiblich gelesene Personen für unsere Wut kritisiert werden und wie unsere Wut durch Bezeichnungen und Aussagen wie “zu emotional”, “zickig” oder “zu empfindlich” abgewertet wird - und dabei bin ich als weiße cis Frau ohne Behinderung in einer privilegierten Position.
Ich wünsche mir, dass diskriminierte Personengruppen ihre Wut mitteilen können, dass sie ihnen nicht abgesprochen, sondern ernst genommen wird. Mit dieser Ausstellung möchten wir eine Möglichkeit dafür schaffen und geballt auf gesellschaftliche und politische Missstände aufmerksam machen. Ich hoffe, dass es in Zukunft noch weitere Möglichkeiten geben wird, unserer Wut künstlerisch Ausdruck zu verleihen und so eine positive Veränderung zu bewirken.
Verena Schmoll (sie/ihr)
Vulven sind das unsichtbare Geschlecht.
Meine Interpretation ist eine wütende Vulva, gespachtelt mit Acrylfarben auf Papier.
Glitzer gibt den Hoffnungsschimmer im Inneren der Vulva für eine neue Realität!
Verena, was macht dich wütend?
Es gibt einige gesellschaftliche Strukturen, die mich wütend machen.
In Bezug auf meine sichtbare Vulva ist es Folgendes:
... Vulven sind unsichtbar
... Vulven sind das schwache Geschlecht
... Vulven sind Gebärmaschinen
... Vulven müssen schön aussehen
... Vulven sind irgendwann unbrauchbar
... Vulven müssen funktionieren
...Vulven dürfen nicht wütend sein
Warum werden wütende Frauen als hysterisch bezeichnet?
Hysterisch kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet Gebärmutter... Turns out: unbefriedigte Frauen sind hysterisch/wütend... Nur ein Mensch mit Penis kann hysterische Frauen wieder entspannen. Ja klar!
Warum ist Wut wichtig? Wie können mithilfe der Wut neue Realitäten geschaffen werden?
Wut setzt Energien frei. Wut warnt uns. Wut ist ein Katalysator.
Oft bedeutet Wut Rückzug. Wut ist ein negativ besetztes Wort und vielen wurde beigebracht, dass man nicht wütend sein darf. Vor allem den jungen Mädchen! Es gehört sich nicht zu toben, zu schreiben, zu wüten. Angepasstes Verhalten wird gelobt, Wut wird getadelt.
Kein Kind soll lernen, nicht wütend zu sein. Jedes Kind soll lernen, wie man mit Wut umgehen kann. Dafür braucht es uns Erwachsene und reflektierte Personen als Begleiter*innen! Durch Wut reflektiert man Dinge und kann diese ändern. Neue Realitäten werden erschaffen!
Hat deine Wut in unserer Gesellschaft Raum? Was müsste sich ändern, damit sie Raum haben kann?
Leben und leben lassen! Rollenklischees und gesellschaftliche Strukturen müssen aufgebrochen werden. Zum Teil passiert das! Meiner Meinung ist das sehr Ortsgebunden. Gerade in Bayern wünsche ich mir mehr Aufklärung im Bildungsbereich, sowie bereits in der Elementarpädagogik! Der bayerische Bildungsplan sollte dringend verändert werden. Von Klein auf muss eine Offenheit für alle Menschen entstehen. Für alle Lebensformen! Die Menschen müssen lernen, weniger zu be- und verurteilen! Akzeptanz schaffen für die Vielfalt dieser Welt!
1. Reihe (von links nach rechts): Elisabeth Böck, Lea Kohler
2. Reihe: Annette Manneschmidt, Alica Haslbeck, Luis
3. Reihe: Veronika Kleiner, Ulrike Merkel, Inna Kaul, Johanna Friederich
4. Reihe: Schüler*innen einer 1. Klasse, Steffi Knopf, Veta und Ada
5. Reihe: Schüler*innen einer 1. Klasse, Lena
Wanddurchbruch: Julia Merkel
Weitere Infos zu den Werken gibt´s auf Instagram.